Spannung, stockender Atem und große Gefühle

Grandiose Premiere des Freilichtspiels "Im Bur si Recht!" / Fantastische Inszenierung mit 120 Darstellern, die ihre Rollen nicht nur spielen, sondern leben.

STÜHLINGEN. "Neues Feuer, neue Zeit, hinter uns Vergangenheit. Neue Erde, neues Feld. Auf uns wartet diese Welt!" Mit dem fulminanten Schlusschor des Freilichtspiels "Im Bur si Recht!" brachten es die Akteurinnen und Akteure der Heimatbühne auf den Punkt: Stühlingen schaut zuversichtlich in die Zukunft! Davor lagen drei prall gefüllte Stunden voller Spannung, Spektakel und großer Gefühle.

Was das starke Team um Regisseurin Corina Rues-Benz und ihre Regie-Assistentin Bernadette Nußberger im stimmigen Ambiente der Mühle im Dorf darbot, war grandios! Sie alle bescherten dem Publikum, das zu Beginn unbeeindruckt einem längeren Gewitterguss trotzte, eine wahre Sternstunde. Rolf Wenhardt, Präsident des Landesverbandes der Amateurtheater Baden-Württemberg, der eigens zur Premiere aus Neckartailfingen anreiste, bekannte: "Diese Aufführung hier in Stühlingen ist eine der bewegendsten, die ich in meinem Leben gesehen habe!"

Was die Regisseurin und gelernte Theaterpädagogin Corina Rues-Benz aus jedem Einzelnen herausholte, war in der Tat unglaublich. Dazu brauchte es viele pfiffige und außergewöhnliche Ideen. Die 120 Schauspielerinnen und Schauspieler, unter ihnen rund 40 Kinder der Theater AG der Stühlinger Schulen, waren in ständiger Bewegung, das Leben rund um den Stühlinger Marktplatz pulsierte. Für den Zuschauer war es unmöglich, jedes Handlungsdetail in der aufwändig und raffiniert gestalteten Kulisse aufzunehmen.

Die Zeitreise in die Jahre 1524/25, in denen sich die Bauern der Region gegen ihre willkürlich regierende Herrschaft aufbäumten, hatte stets die Menschen im Blick. Ob geknechteter Bauer, charismatischer oder besonnener Bauernführer, hochmütiger Vogt oder Landgraf, einfache Magd, Bürgersfrau, Kind oder Gaukler, sie alle erzählten die Geschichte vom Bauernaufstand in Stühlingen auf ganz persönliche Weise. Als quirliges Bindeglied zwischen den Zeiten agierte die Närrin Mergelin (Susann Bächle), die alle Facetten des Lebens in ihrem Spiel auf einzigartige Weise einfing. Keck und spöttisch, aber auch voller Ernsthaftigkeit und Mitgefühl mit den menschlichen Spielbällen der Macht, nahm sie das Publikum an der Hand, führte es tief hinein in die Vergangenheit Stühlingens, um es dann im nächsten Moment mit der Gegenwart zu konfrontieren. Kaum ein Auge blieb trocken bei Mergelins Totenklage um den im Kampf getöteten Geliebten, untermalt durch fernen Geschützdonner und Blut, das aus der Wand der Mühle zu fließen schien.

Für Gänsehaut und stockenden Atem sorgte auch der Auftritt der des Landes verwiesenen Frau des Köhlersepps (Johanna Harder) oder die aufrüttelnden, flehenden Worte der Stadtursch (Gudrun Schirmer), die gleichzeitig durch ihr loses Mundwerk bestach. Szenenapplaus gab es nicht nur bei dem anrührenden Lied des heimatlosen Mädchens (Lea Singer) und beim stürmischen Auftritt des mitreißenden Bauernführers Hans Müller von Bulgenbach (Frank Pieper), der im Lied der Bauern "Mir wenn’d it liesli si" gipfelte. Kontrastreich war die unzufriedene Bauernschar aus der gesamten Region, die zwischen dem zur Vernunft mahnenden Michel Haim (Theo Diem) und dem wie sie nach Freiheit lechzenden Bulgenbacher hin- und herschwankte. Kraftvoll trugen sie ihre Forderungen vor, die von einem selbstherrlich agierenden Vogt (Roland Jordan) abgelehnt und von den gemächlich-gemäßigten Vermittlern aus Schaffhausen nicht besonders vehement vertreten wurden. Letztendlich ging ein großmütig-herablassender Jörg von Lupfen (Gerd Wiesmann) zumindest teilweise auf sie ein und versprach Veränderungen. Landesverweise und abgehackte Schwurfinger standen im Gegensatz zum guten Ausgang der Liebesgeschichte zwischen der Magdalena Schielin (Celestine Kauffmann) und ihrem Müller Heini Burger (Thomas Engels).

Wer nun glaubt, "Im Bur si Recht!" sei durch und durch Tragödie, der irrt. Witz und Humor wurden immer wieder groß geschrieben. Tratschende Frauen lieferten sich am Städtlebrunnen spritzige Wortgefechte, der fröhliche Auftritt der temperamentvollen Gauklertruppe mit gekonnten akrobatischen Einlagen ließ staunen. Wahre Lachsalven erzeugten die Aussagen der Wahrsagerin (Margrieta Postma), die dank ihrer Kugel bis ins Jahr 2012 blickte und eine Frau als Schultheiß, einen Schweizer Bauern als Schlossherr und den Anschluss sämtlicher Dörfer an Stühlingen vorhersagte. Tief blicken ließ das Spiel der lebhaften Kinderschar, die die Ereignisse um den Aufstand auf subtile Weise bewältigte.

Hochzufrieden darf auch Intendant Arnfried Winterhalder sein, der zu tausend anderen Requisiten sogar einen Zweispänner besorgt hatte und gemeinsam mit Markus Peter als Schweizer Abgesandter hoch zu Ross daher kam. Jedes Rädchen, vom Fanfarenspieler bis zur Inspizientin, griff nahtlos ineinander! Sogar die Schafe im bunten Vorprogramm hielten es mit den Bauern und forderten für sich beim ungeplanten Überspringen ihres Geheges immer wieder "Freiheit!"

Zum Schluss feierte das Publikum das gesamte Team mit "Standing Ovations". Und dann war da noch das Lied der Gaukler, das noch lange nachklingt: "Heimat ist für uns Gemeinsamkeit!"